„Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich dabei um ernsthafte Erkrankungen handelt.“
Sebastian Hoppe leitet beim ASB München/Oberbayern den Bereich PSAH und forscht am Lehrstuhl für Klinische Psychologie am Department Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München zu Fragen der Wirksamkeit von Psychosozialen Akuthilfen.
Was passiert im menschlichen Gehirn, wenn aus einem belastenden Erlebnis eine psychische Erkrankung entsteht?
Sebastian Hoppe: Wenn es nicht möglich ist, ein Erlebnis ins normale Gedächtnis zu integrieren, kann das dazu führen, dass das Angstzentrum im Gehirn – die Amygdala – dauerhaft in einer Art Alarmmodus bleibt und die angstbesetzten Erinnerungen weiter aktiviert bleiben.
Es kommt dann zu einem Effekt, den man vom Training einer Sportart oder häufigen Üben eines Musikinstruments kennt: Die neuronalen Verschaltungen, die eine häufig ausgeführte Bewegung repräsentieren, sind irgendwann stärker ausgeprägt. Sie werden sozusagen zu kleinen Autobahnen, weil viele Daten fließen. Wenn man länger nicht mehr übt, verkümmern diese Datenautobahnen nach und nach wieder zu Feldwegen.
Dasselbe passiert mit angstbesetzten Gedanken, über die jemand viel grübelt oder die durch äußere Eindrücke immer wieder aktiviert werden: Die Repräsentationen im Gehirn sind dann verglichen mit ihrer realen Bedeutung überrepräsentiert.
Wozu führt das bei betroffenen Personen?
Hoppe: Im schlimmsten Fall zieht das eine Traumafolgestörung nach sich. Eine davon ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), man kann aber auch eine Depression oder eine Angststörung entwickeln. Ein typisches Symptom der PTBS sind beispielsweise plötzlich über die Person hereinbrechende Erinnerungen, die nicht kontrolliert werden können, weil sie von äußeren Reizen ausgelöst werden.
Es liegt auf der Hand, dass Betroffene die Konfrontation mit solchen Erinnerungen zu vermeiden versuchen - ein weiteres sogenanntes Leitsymptom der PTBS. Das schränkt Personen in ihrem Alltag und Wohlbefinden massiv ein. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich dabei um ernsthafte Erkrankungen handelt. Tatsächlich lassen sich entsprechende Veränderungen im Gehirn auch in Hirn-Scans abbilden.
Welchen Einfluss hat eine frühe Krisenintervention auf diese möglichen Entwicklungen?
Hoppe: Zunächst einmal ist PSAH aus unserer Sicht nicht nur unter dem Aspekt potentieller Traumata wichtig und wirksam. Wir betrachten sie bereits dann als sinnvoll, wenn es den betroffenen Personen generell besser geht. Dabei geht es um Themen jenseits von krank und gesund. Das heißt: Wie sehr ist eine Person wieder in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen, ihr Familienleben zu gestalten, ihrer Arbeit nachzugehen?
Im Kontext der Studie, die wir in Kooperation mit der LMU München durchführen, hatten wir mehrfach die Rückmeldung, dass Betroffene einfach froh darüber und auch dankbar dafür waren, in der akuten Situation nicht allein geblieben zu sein. Unabhängig davon, ob das, was wir da machen, Wochen später noch einen messbaren Effekt hat, hat es einen Wert, Menschen in solchen dunklen Stunden nicht sich selbst zu überlassen.
Gibt es darüber hinaus denn einen messbaren Effekt?
Hoppe: Was wir in unseren Einsätzen machen, hat viel mit dem aktuellen Forschungsstand zur Vorbeugung von Traumata zu tun. Wir können das, was passiert ist, ja nicht ungeschehen oder harmloser machen. Aber wir können die Bewältigungsmöglichkeiten wirksam stärken. Allerdings ist bis heute wissenschaftlich nicht belegt, dass PSAH direkt Traumafolgestörungen vorbeugt. Um einen Beitrag zum Schließen dieser Forschungslücken zu leisten, führen wir die Studie durch.
Warum gibt es in diesem Feld so wenig belastbare Daten?
Hoppe: PSAH wissenschaftlich zu untersuchen, ist wahnsinnig schwierig. Obwohl es sie mittlerweile seit etwa 30 Jahren gibt, existieren kaum Studien, die sie fundiert und mit verwertbaren Ergebnissen untersucht haben, weil sie Forschende vor große methodische Probleme stellt.
So gibt es kaum ethisch vertretbare und gleichzeitig praktikable Möglichkeiten, an eine Kontrollgruppe zu kommen. Denn dafür müsste man Menschen, denen etwas Schlimmes passiert ist, ja ganz bewusst Unterstützung vorenthalten, nur um einen Vergleich zu haben. Und weil wir glauben, dass PSAH einen Effekt hat, wäre das ethisch verwerflich.
Zum anderen lässt sich keine Beobachtung identisch reproduzieren, weil die Einsätze nicht unter Laborbedingungen stattfinden, sondern echt sind. Wir arbeiten immer in der realen Notsituation. Genauso wäre es ethisch kritisch, unser Vorgehen in der Betreuung bewusst abzuändern, nur um zu Forschungszwecken mal einen anderen Ansatz auszuprobieren.
Wie lässt sich unter diesen Bedingungen überhaupt ein Zusammenhang nachweisen?
Hoppe: Das ist die große Aufgabe. Denn es ist schwer nachzuweisen, dass das Ausbleiben eines Symptoms, das sich bei einer Person ein halbes Jahr später nicht zeigt, wirklich auf unsere Betreuung zurückgeht. Und es gibt einfach eine Vielzahl an Störfaktoren in Form von zusätzlichen Einflüssen. Deshalb versuchen wir in der Studie, über eine möglichst große Anzahl von Teilnehmenden auf immer wiederkehrende Zusammenhänge zu schließen.
Was versprechen Sie sich von den Ergebnissen?
Hoppe: In letzter Konsequenz ein Screening-Instrument, das bereits wenige Wochen nach dem belastenden Ereignis Rückschlüsse darüber zulässt, wie es der betroffenen Person nach einem halben Jahr gehen wird. Denn dann könnte man die Personen, die sehr wahrscheinlich Unterstützung benötigen, früh identifizieren, um sie zielgenau bestimmten Beratungsstellen zuzuführen. Wir lassen zwar fast immer Flyer da und empfehlen Anlaufstellen – aber wir wissen, dass viele Betroffene niemals im System der psychosozialen Regelversorgung ankommen. In der Akutsituation ist oftmals schwer absehbar, wie es Betroffenen einige Wochen später geht und was genau sie dann brauchen.